BDS-Leitfaden für strategische Kampagnen für die Rechte der Palästinenser*innen
5. Januar 2024 / Palestinian BDS National Committee (BNC)
Während Israel seinen Völkermord in Gaza fortsetzt, breitet sich weltweit eine neue Welle der Solidarität mit dem indigenen palästinensischen Volk aus. Die Boykott-, Desinvestitions- und Sanktionsbewegung gegen Israel ist der wirksamste Weg, Solidarität in Wirkung umzusetzen. Hier erfahrt ihr, wie eure BDS-Kampagne erfolgreich wird.
Während Israels jahrzehntelanges Regime des Siedlerkolonialismus und der Apartheid seinen anhaltenden Völkermord und seine ethnische Säuberung weiter eskaliert, breitet sich weltweit eine neue Welle der Solidarität mit dem palästinensischen Volk aus. Viele Menschen erfahren zum ersten Mal von dem historischen Aufruf der palästinensischen Zivilgesellschaft aus dem Jahr 2005, zu Boykott, Desinvestition [Investitionsentzug] und Sanktionen (BDS) gegen Israel, bis es dem Völkerrecht nachkommt. In diesem Leitfaden stellen wir die Grundlagen der Bewegung, bewährte Vorgehensweisen und einige hilfreiche Tipps und Ideen für eine strategische BDS-Kampagne vor.
BDS 101
Zunächst einige kurze Hintergrundinformationen: Die BDS-Bewegung wurde 2005 von der palästinensischen Zivilgesellschaft gegründet, um Druck auf Israel auszuüben, drei zentrale Forderungen einzuhalten:
- Ein Ende der israelischen Besatzung allen arabischen Landes und Abriß der illegalen Apartheidmauer
- Völlige Gleichheit der palästinensischen Bürger*innen des heutigen Israel; und
- Das Recht auf Rückkehr für palästinensische Geflüchtete.
Weitere Informationen zur Geschichte der BDS-Bewegung, den Organisationen, aus denen sich das nationale palästinensische BDS-Komitee zusammensetzt, sowie zu vergangenen und aktuellen Kampagnen findet ihr auf der Website der BDS-Bewegung.
BDS ist für uns der effektivste Weg, unsere Solidarität mit der palästinensischen Befreiung in die Tat umzusetzen. Israel ist nur aufgrund der internationalen Komplizenschaft von Staaten, Unternehmen und Institutionen in der Lage, sein Unterdrückungsregime gegenüber dem palästinensischen Volk aufrechtzuerhalten und sich der Verantwortung für seinen Völkermord an 2,3 Millionen Palästinenser*innen im belagerten und besetzten Gazastreifen zu entziehen.
BDS hat seine Wurzeln im jahrzehntelangen Widerstand des palästinensischen Volkes gegen den britischen Kolonialismus und den zionistischen Siedlerkolonialismus. Es ist inspiriert von der südafrikanischen Anti-Apartheid-Bewegung, in der internationale Boykotte und Sanktionen eine wichtige Rolle bei der Überwindung der Apartheid spielten.
Eine Bewegung für kollektives Handeln
Viele Menschen boykottieren persönlich Marken, die ihre Unterstützung für Apartheid Israel bekundet haben, und das ist großartig – aber wir möchten betonen, dass Verbraucherboykotte am effektivsten sind, wenn sie als kollektive Aktion durchgeführt werden. BDS ist nicht allein auf Verbraucherboykotte beschränkt. Wichtiger als unsere eigenen persönlichen Investitionen und Einkäufe, die zwar symbolische Gesten sind, aber für sich genommen keine Wirkung haben, ist die Arbeit innerhalb einer Organisation, Gewerkschaft oder Koalition, um effektive, strategische Kampagnen zu organisieren und weltweit Macht aufzubauen, um den palästinensischen Kampf zu unterstützen. Wenn ihr also in den sozialen Medien ellenlange Listen mit Dutzenden und Aberdutzenden von zu boykottierenden Unternehmen seht, denkt bitte daran, dass das Ziel nicht darin besteht, so viele Unternehmen wie möglich zu boykottieren, da nur sehr wenige Menschen derart umfangreiche Boykotte über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten können.
Das Ziel besteht darin, strategisch einige wenige Ziele auszuwählen und ausreichend kollektiven Druck auszuüben, um eine Kampagne zu gewinnen – das heißt, ein bestimmtes Unternehmen stellt seine Geschäftsbeziehungen mit Israel ein, eine bestimmte Institution trennt sich von mitschuldigen israelischen oder internationalen Unternehmen oder eine bestimmte Stadt beendet ihre Beziehungen zur israelischen Regierung oder verabschiedet eine Beschaffungs- und Investitionspolitik, die sich auf die Menschenrechte konzentriert.
Es gibt viele verschiedene Arten von BDS-Kampagnen, aus denen ihr wählen könnt und ihr könnt Ziele auswählen, die für euren lokalen Kontext am strategischsten und erreichbarsten sind. Hier einige Beispiele:
Kommunaler Boykott: Eine Stadt kündigt Verträge mit HP oder Caterpillar.
Akademischer Boykott: Eine Universität (oder Fakultät) oder akademische Vereinigung beendet die institutionelle Zusammenarbeit mit israelischen akademischen Einrichtungen.
Sportboykott: Mannschaften weigern sich, gegen offizielle israelische Mannschaften zu spielen, oder Israel wird von den Olympischen Spielen oder vom Weltfußballverband FIFA ausgeschlossen.
Verbraucherboykott: Ein Lebensmittelgeschäft verkauft kein israelisches Obst und Gemüse mehr.
Kultureller Boykott: Eine Berühmtheit sagt einen Auftritt in Israel ab oder eine Veranstaltung eine*r israelischen „Kulturbotschafter*in“ oder eine von Israel (oder antipalästinensischen Lobbygruppen) gesponserte Veranstaltung wird abgesagt.
Desinvestition: Eine Stadt, eine Universität, eine Kirche, eine Gewerkschaft oder ein Pensionsfonds ziehen ihre Investitionen in Unternehmen und Banken ab, die an der israelischen Apartheid beteiligt sind.
Da die BDS-Bewegung weiterhin schnell wächst, fragen sich viele Aktivist*innen weltweit oft, auch in Palästina, welche Institution oder welches Unternehmen sie am effektivsten angreifen können und wie. Angesichts unserer begrenzten menschlichen Kapazitäten wollen wir bei der Auswahl der Ziele strategisch vorgehen. Die BDS-Bewegung startet keine Boykottkampagne gegen jede boykottierbare Veranstaltung, jedes Produkt oder jede Institution, denn das würde es unmöglich machen, konkrete Ergebnisse zu erzielen.
Um strategisch vorzugehen, wählen wir unsere Ziele und die Art und Weise, wie wir in jedem einzelnen Fall eingreifen, sorgfältig aus. Wenn ihr mehr über aktuelle BDS-Ziele und strategische Kampagnenarbeit erfahren möchtet, einschließlich der Frage, warum auf einige „Ziele Druck ausgeübt werden soll“ sie aber keine reinen Boykottziele sind, lest bitte diesen aktuellen Beitrag des nationalen palästinensischen BDS-Komitees
Die strategischen Kriterien für die Auswahl der Ziele sind:
Grad der Komplizenschaft: Je tiefer die Komplizenschaft des Unternehmens/der Institution ist, desto einfacher und zwingender ist es, durch BDS Druck gegen sie zu mobilisieren. Es gibt Hunderte von internationalen Unternehmen und Institutionen, die in irgendeiner Weise mitschuldig sind, aber nicht alle in gleichem Maße. So ist beispielsweise ein Unternehmen, das das israelische Militär mit Waffen versorgt, eindeutig stärker mitschuldig als ein Unternehmen, das seine Schönheitsprodukte in Israel verkauft. Um zu verstehen, inwieweit ein Unternehmen oder eine Institution an Israels Apartheidregime und Verstößen gegen das Völkerrecht beteiligt ist, müssen wir durch sachliche Recherchen herausfinden, welche Ziele wir vorrangig verfolgen.
- Potenzial für bewegungsübergreifende Koalitionsbildung: Eine Desinvestitionskampagne gegen Chevron ist beispielsweise viel sinnvoller als eine Desinvestitionskampagne gegen ein Unternehmen, das nur die Rechte der Palästinenser*innen verletzt, denn Chevron ist ein Ziel von Klimagerechtigkeitsaktivist*innen weltweit. Intersektionale Koalitionen sind besonders wichtig, um das Erfolgspotenzial gegen mächtige, mitschuldige Konzerne zu maximieren.
- Medienwirksamkeit: Wenn zwei Unternehmen gleichermaßen mitschuldig sind und wir uns entscheiden müssen, ist es effektiver, die bekanntere Marke ins Visier zu nehmen, da diese in der Regel mehr Medienaufmerksamkeit auf sich zieht und es uns ermöglicht, ein viel größeres Publikum aufzuklären und zu erreichen.
- Erfolgsaussicht: Selbst wenn die drei oben genannten Bedingungen erfüllt sind, starten wir nur dann eine Kampagne gegen ein Ziel, wenn wir eine begründete Aussicht auf Erfolg haben. Erfolg kann manchmal einfach bedeuten, eine breite Öffentlichkeit zu erreichen und ihre Unterstützung zu gewinnen, anstatt tatsächlich eine Veranstaltung oder einen Vertrag abzusagen, aber symbolische Siege allein reichen nicht aus. Wir machen BDS, weil wir gewinnen und Macht aufbauen wollen, um politische Veränderungen herbeizuführen, um letztendlich die Rechte der Palästinenser*innen durchzusetzen, und nicht nur, um Punkte zu machen und uns über symbolische Gesten zu freuen. Das bedeutet, das Unternehmen oder die Institution zu zwingen, seine Komplizenschaft mit dem israelischen Apartheidregime zu beenden, zum Beispiel durch den Ausstieg aus dem israelischen Markt, wie es das französische Telekommunikationsunternehmen Orange 2016 getan hat. BDS kann seine Ziele – Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit – nur durch nachhaltige, kumulative, wachsende und umfassende Erfolge erreichen.
Kampagnen führen, um zu gewinnen
Wenn ihr und eure Gruppe oder Organisation (ihr solltet dies auf keinen Fall allein tun!) sorgfältig recherchiert und ein Ziel ausgewählt haben, das für euren lokalen Kontext strategisch sinnvoll ist, solltet ihr nicht gleich mit einer öffentlichen Kampagne loslegen. Mit einer sanften Anfrage (Due Diligence) zu beginnen, ist ein oft übersehener Schritt, der uns manchmal sofort einen Sieg bescheren kann – und das Ziel ist ein Sieg!
Trefft euch beispielsweise mit dem Investitionsausschuss eurer Gewerkschaft, um zu prüfen, ob dieser bereit ist, eine Investitionsprüfungsrichtlinie für Menschenrechte umzusetzen. Schreibt privat einen Brief an die Einkaufsleiter*in in eurer Schule, um zu prüfen, ob es andere Computerlieferant*innen als HP gibt. Oder bringt die Mitarbeiter*innen eines Lebensmittelgeschäfts dazu, gemeinsam zu fordern, dass das Geschäft keine israelischen Produkte mehr in seinen Regalen hat. Ihr werdet überrascht sein, wie weit ihr in manchen Fällen mit einem Engagement insbesondere in kleineren Gemeinden kommen könnt, das auf der Weitergabe genauer Informationen und überzeugenden moralischen Appellen beruht, bevor es zu einer größeren öffentlichen Kampagne kommt.
In den meisten Fällen ist jedoch strategischer Druck das einzig wirksame Mittel. Als beispielsweise die Ortsgruppe der Democratic Socialists of America (DSA) in Portland, Oregon, und andere Verbündete eine Kampagne starteten, in der sie die Portland Trail Blazers aufforderten, ihren Sponsoringvertrag mit Leupold & Stevens, dem Scharfschützenzielfernrohr-Lieferanten der israelischen Armee, zu beenden, schickten sie zunächst private Briefe an die Blazers-Organisation, in denen sie ihre Bedenken darlegten und um ein Treffen baten, um weiter über die Kooperation zu sprechen. Diese Taktik ging nicht auf, so dass sie zu einer öffentlichen, einjährigen druckvollen Kampagne übergingen, die sie auch gewannen! Aber zuerst mussten sie sicherstellen, dass sie ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen, denn schon das allein zeugt von gutem Willen und kann viele Unbeteiligte überzeugen.
Ihr solltet auch damit beginnen, andere Organisationen um Unterstützung zu bitten. Koalitionsbildung ist bei der BDS-Arbeit ein Muss. Organisationen in eurer Nähe könnten daran interessiert sein, gemeinsam zu diesem Thema zu kämpfen, und andere Organisationen können eure Kampagne unterstützen. In den USA verfügt beispielsweise das American Friends Service Committee (AFSC) über begabte Forscher*innen mit jahrelanger Erfahrung in der BDS-Kampagnenarbeit und eine großartige Datenbank, die euch helfen kann, zuverlässige Informationen über Unternehmen und Investmentfonds zu finden. Das European Legal Support Center kann BDS-Gruppen in Europa dabei helfen, ihre Kampagne so rechtssicher wie möglich zu gestalten, und kann euch möglicherweise dabei helfen, rechtliche Herausforderungen zu meistern, auf die ihr vielleicht trotzdem stoßt. Medienorganisationen der Bewegung können Ressourcen für den Kontakt mit Medien bereitstellen und Tipps geben, wie ihr die Kommunikation am besten in eure Kampagnenstrategie einbinden könnt und nicht erst nachträglich.
Power mapping ist ebenfalls ein wichtiger Teil eurer Kampagne: Wer sind die Entscheidungsträger*innen, wer kann am besten Druck auf sie ausüben und wie können wir das am effektivsten tun? Gibt es Verbündete in den eigenen Reihen? Mit welchem Widerstand ist zu rechnen und wie kann man sich darauf vorbereiten?
Weitere wichtige Bestandteile der Kampagnenarbeit sind eine Medienstrategie, eine Strategie zur Aufklärung der Öffentlichkeit (z. B. Informationsveranstaltungen wie Teach-Ins), ein Zeitplan für die Ausweitung eurer Kampagne und die Festlegung strategischer Termine für bestimmte Aktionen – wie z. B. die Übergabe einer Petition während einer Vorstandssitzung des Unternehmens, gegen das sich eure Kampagne richtet. Ist eine friedliche Störung (sit-ins, friedliche Besetzung, Flashmob, kollektive Supermarkt-Aktion usw.) eine nützliche Taktik, die ihr zum richtigen Zeitpunkt in eure Strategie aufnehmen solltet?
In der Vergangenheit erforderten einige der größten und erfolgreichsten BDS-Kampagnen Jahre strategischer Planung, Organisation und Netzwerkbildung, um sie durchzuziehen – lasst euch also nicht entmutigen, wenn es nicht sofort klappt. Es lohnt sich, bei der Planung und Öffentlichkeitsarbeit detailliert, strategisch und zielgerichtet vorzugehen. Aber in dieser beispiellosen Krisenzeit, in der sich vor unseren Augen ein Völkermord abspielt, gibt es auch keinen Grund dafür, dass eine BDS-Kampagne Jahre dauern muss. Die Arbeit, die wir gerade jetzt leisten, ist von großer Dringlichkeit, und es gibt keinen Grund, warum ein Stadtrat oder eure Gewerkschaftsführung nicht die Entscheidung treffen kann, ihre Mittäterschaft jetzt vzu beenden, wenn der politische Wille vorhanden ist. Wenn nicht jetzt, wann dann?
Die südafrikanische Anti-Apartheid-Bewegung organisierte sich jahrzehntelang, um eine breite internationale Unterstützung für den Fall der Apartheid aufzubauen; und die Apartheid fiel. Freiheit ist nicht verhandelbar. Jetzt ist es an der Zeit, aktiv zu werden und sich der Bewegung für Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit in Palästina anzuschließen.
BDS Guide to Strategic Campaigning for Palestinian Rights
Übersetzung Redaktion BDS-Kampagne.de