PACBI Erklärungen

PACBI: Offener Brief an die Deutsche Bundesregierung und die Akademie der Wissenschaften zu Göttingen

 

 

 

Offener Brief an die Deutsche Bundesregierung und die Akademie der Wissenschaften zu Göttingen zum Umgang mit den geraubten palästinensischen Schriftrollen vom Toten Meer: Beteiligen Sie sich nicht an Israels kulturellen Verbrechen und respektieren Sie internationales Recht.

Besetztes Jerusalem, 26. März 2016 – Die Palästinensische Kampagne für den akademischen und kulturellen Boykott Israels (PACBI) ruft die Bundesregierung und die Akademie der Wissenschaften zu Göttingen dazu auf, von einer Zusammenarbeit bei der Erforschung der Schriftrollen vom Toten Meer mit der israelischen Regierung und den mit ihr komplizenhaft verbundenen Institutionen Abstand zu nehmen.

Die Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, die Israel Antiquities Authority (IAA), die Universitäten Haifa und Tel Aviv haben eine Zusammenarbeit im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Forschungsprojektes der Deutsch-Israelischen-Projektförderung des Bundes (DIP) zu den Schriftrollen vom Toten Meer angekündigt[1].

Die Schriftrollen vom Toten Meer sind während Israels militärischer Invasion und der Besetzung der palästinensischen Westbank 1967 gestohlen worden und Teil des kulturellen Erbes Palästinas, das sich Israel im Laufe seiner kolonialen Unterdrückung des palästinensischen Volkes illegal angeeignet hat.

Mit der geplanten Forschungszusammenarbeit würde die Bundesregierung somit die Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten von 1954 verletzen, die sie ebenso wie Israel unterzeichnet hat[2]. Das erste Protokoll der Konvention von 1954 (Artikel 2) verpflichtet die Bundesrepublik, die Schriftrollen zu beschlagnahmen, sobald diese in ihr Hoheitsgebiet eingeführt werden. Die Bundesrepublik hat außerdem die UNESCO-Konvention über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der unzulässigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut (1970) ratifiziert. Diese Konvention ächtet die Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut.

Wie das Internationale Komitee des Roten Kreuzes feststellt: “The obligation to return exported cultural property is also recognized in many official statements, including by Germany in relation to its occupation during the Second World War”[3]. Die Bundesrepublik hat dieses Prinzip bekräftigt, indem sie erklärte, dass “thefts and destruction of cultural property by the Nazi regime as well as the removal of cultural property by the Soviet Union during and after the Second World War were breaches of international law”[4]. Israels Entwendung von Kulturgütern aus dem besetzten palästinensischen Gebiet ist eine Verletzung internationalen Rechts.

Die Bundesrepublik arbeitet in diesem Projekt außerdem mit der Israel Antiquities Authority (IAA) zusammen, die ihren Sitz im besetzten Ostjerusalem hat. Die illegale israelische Annexion Jerusalems, die Palästinensern ihre Hoheit aufzwingt und den Ausbau der Siedlungen ermöglicht, wird weder von den Vereinten Nationen noch von der Europäischen Union, einschließlich der Bundesrepublik anerkannt.

Indem die Bundesrepublik mit einer Institution der israelischen Regierung zusammenarbeitet, die ihren Hauptsitz im besetzten Ostjerusalem hat, hält die Bundesrepublik ihre internationalen rechtlichen Verpflichtungen nicht ein, nach der sie ungesetzliche Handlungen einer Besatzungsmacht nicht an erkennen darf. Die Bundesregierung widerspricht zudem ihrem Bekenntnis der Ablehung der israelischen Besatzung und legitimiert die illegale Annektion Jerusalems und die israelische Politik der ethnischen Säuberung Jerusalems.

Seit 1967 wurden in Verletzung internationalen Rechts hunderttausende kostbarer Artefakte illegal durch die Israel Antiquities Authority (IAA), israelische Soldaten und illegale Antiquitätenhändler aus den besetzten Gebieten der Westbank und des Gazastreifens entfernt. Die Konfiszierung und der Diebstahl palästinensischen Kulturerbes sind Teil der israelischen Versuche, das palästinensische Gedächtnis und seine kulturelle Identität auszulöschen. Das palästinensische Erbe reflektiert die Identitäten und Glaubenssätze der verschiedensten Gruppen -Heiden, Muslime, Christen und Juden, die über die Jahrhunderte auf seinem Land lebten.

Als Teil von Israels Versuchen, die Geschichte Palästinas zu “zionisieren”, um zu bestreiten, dass dieses Land immer schon die Heimat indigener multikultureller und multireligiöser Gruppen war, führt es deren Vertreibung von palästinensischem Land und Eigentum weiter aus, indem es wertvolle palästinensische Kulturschätze raubt, darunter Bücher, Manuskripte, persönliche Papiere, Fotografien und Kunstwerke. Seit 1948 wurden systematisch zehntausende palästinensische Bücher in einer gemeinsamen Aktion der Haganah – aus der die israelische Armee entstand – und der israelischen Nationalbibliothek geraubt[5].

Wie der US-amerikanische Rechtexperte David Nersessian schreibt:

“Cultural genocide extends beyond attacks upon the physical and/or biological elements of a group and seeks to eliminate its wider institutions… Elements of cultural genocide are manifested when artistic, literary, and cultural activities are restricted or outlawed and when national treasures, libraries, archives, museums, artifacts, and art galleries are destroyed or confiscated.”[6]

Die akademischen Institutionen Israels, die in diesem Projekt mitwirken, sind zutiefst in die israelischen Menschenrechtsverletzungen gegen die Palästinenser verstrickt. So beschreibt sich die Universität von Haifa selbst als „Proud to Be Academic Home of (Israeli) Security Forces”.[7] Die Universität steht in organischer Partnerschaft mit dem israelischen Besatzungsregime, dem Kolonialismus und der Apartheid gegen die Palästinenser. Die Universität unterdrückt außerdem ihre palästinensischen Studierenden (Bürger zweiter Klasse in Israel) mit Maßnahmen, die entsprechend der staatlichen Politik ihnen gegenüber ihre akademische Freiheit und ihre Meinungsfreiheit einschränken.[8]

Unter dem Vorwand archäologischer Ausgrabungen ist die Universität von Tel Aviv (TAU) auch an der Plünderung und dem Diebstahl palästinensischen Kulturerbes im besetzten Ostjerusalem beteiligt, wobei sie mit illegalen israelischen Siedlerorganisationen kooperiert.[9]

In Silvan, wo die Ausgrabungen stattfinden, schikanieren israelische Siedler palästinensische Bewohner täglich gewalttätig mit der Unterstützung des israelischen Militärs in der Absicht, sie zu vertreiben.

Die TAU hat nicht nur dutzende Waffen entworfen, die von den israelischen Besatzungstruppen verwendet werden. Ihr Institute for National Security Studies (INSS) kommt außerdem der Verdienst zu, die sogenannte Dahiya-Doktrin entwickelt zu haben, die von der israelische Armee übernommen wurde und die aufruft zu “the destruction of the national [civilian] infrastructure, and intense suffering among the [civilian] population” als Mittel zur Bekämpfung von ansonsten „unmöglich“ zu bekämpfendem nicht-staatlichem Widerstand.[10]

Durch die Kooperation mit diesen zwei israelischen akademischen Institutionen gibt die Akademie der Wissenschaften zu Göttingen ihr stillschweigendes Einverständnis zu deren tiefer Komplizenschaft bei der Unterdrückung der Palästinensern und leistet offene Beihilfe zur Verletzung internationalen Rechts im Umgang mit den Schriftrollen vom Toten Meer, die Israel aus dem besetzten palästinensischen Gebiet gestohlen hat.

Wir appellieren an die Deutsche Bundesregierung, internationales Recht zu achten und davon abzusehen, Israels Diebstahl am palästinensischen Kulturerbe zu legitimieren und damit unsere landeseigene Geschichte zu verfälschen.

Diese Kooperation ist nicht nur tief verbunden mit der israelischen Unterdrückung der Palästinenser, sondern widerspricht auch den Verpflichtungen der Bundesrepublik zur Rückgabe geraubter Kulturgüter aus besetzten Gebieten, die sie als eine Lehre aus ihrer Nazi-Vergangenheit zieht, und ihrem erklärten Widerspruch zur israelischen Annektierung Ostjerusalems.

Wir rufen die Akademie der Wissenschaften zu Göttingen dazu auf, von ihrer Zusammenarbeit mit den Universitäten von Haifa und Tel Aviv abzusehen, die sich schuldig gemacht haben, Grundlage für Israels jahrzehntelange und brutale Besatzung und Unterdrückung der Palästinenser zu legen.

Quelle: Open Letter to the German government and the Göttingen Academy of Sciences and Humanities: Do not collaborate in Israel’s Cultural Crimes in regards to the Looted Palestinian Dead Sea Scrolls and respect international law


[1] http://www.haaretz.com/jewish/archaeology/1.704987
[2] http://portal.unesco.org/en/ev.php-URL_ID=13637&URL_DO=DO_TOPIC&URL_SECTION=201.html
[3] https://www.icrc.org/customary-ihl/eng/docs/v1_rul_rule41
[4] ibid
[5] http://electronicintifada.net/blogs/ali-abunimah/watch-great-book-robbery-israels-1948-looting-palestines-cultural-heritage
[6] http://www.carnegiecouncil.org/publications/archive/dialogue/2_12/section_1/5139.html/:pf_printable
[7] http://www.pacbi.org/etemplate.php?id=1274
[8] http://www.pacbi.org/etemplate.php?id=1329
[9] http://www.haaretz.com/israel-news/tau-to-take-part-in-east-jerusalem-dig-funded-by-pro-settlement-group.premium-1.472285
[10] http://www.pacbi.org/etemplate.php?id=2522

V.i.S.d.P:
M. Brunken, Hochschulgruppe AKtion Gerechter Frieden in Nahost, 37079 Göttingen