BeitragGerichtsurteile

Wenn Politik das Grundgesetz missachtet – Die BDS-Kampagne und das Grundrecht der Meinungsfreiheit

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat am 20. Januar 2022 im Prozess zwischen der Stadt München und dem Verantwortlichen der Veranstaltung zur Einschränkung der Meinungsfreiheit folgende Entscheidung getroffen, die sie in der Pressemitteilung Nr. 6/2022 veröffentlicht hat. Darin heißt es:

Die Beschränkung des Widmungsumfangs einer kommunalen öffentlichen Einrichtung, die deren Nutzung allein aufgrund der Befassung mit einem bestimmten Thema ausschließt, verletzt das Grundrecht der Meinungsfreiheit. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.

Damit wurde klargestellt, dass der Entzug des von der Stadt München verwalteten Raums für die Veranstaltung “Wie sehr schränkt München die Meinungsfreiheit ein? – Der Stadtratsbeschluss vom 13. Dezember 2017 und seine Folgen” gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, das Grundrecht der Meinungsfreiheit, verstößt. Das Stadtmuseum hatte die oben benannte Veranstaltung mit Verweis auf den Münchner Stadtratsbeschluss abgelehnt.

Es soll an dieser Stelle nicht darum gehen, wie es im Einzelnen zu dieser Entscheidung des höchsten deutschen Verwaltungsgerichts gekommen ist. Wir wollen stattdessen einige generelle Gedanken zu diesem Vorgang äußern.

Für uns stellt es sich so dar: Dem Münchner Stadtrat missfällt eine Initiative der palästinensischen Zivilgesellschaft, die die Einhaltung internationalen Rechts gegenüber der israelischen Regierung einfordert (die BDS-Kampagne), unterstellt dieser Initiative eine antisemitische Motivation, indem sie den Kampf der Palästinenser*innen gegen ihre Unterdrückung mit Antisemitismus gleichsetzt und verbietet jegliche Nutzung von städtischen Räumlichkeiten für Gruppen und Personen, die im Rahmen dieser Kampagne arbeiten oder nur darüber diskutieren wollen.

Inhaltlich ging es zunächst also nicht um die BDS-Kampagne oder um die Unterstützung dieser Kampagne. Doch dem Münchner Stadtrat war dieses Anliegen schon zu viel. Regierungen und eben auch Stadträte haben, so scheint es, kein Interesse an kritischer Auseinandersetzung mit ihren Entscheidungen!

Allem Anschein nach ging es auch gar nicht um die städtischen Räumlichkeiten. Es war das dahinter stehende Thema, die BDS-Kampagne selber, die mit allen Mitteln mundtot gemacht werden sollte. In der Logik des Münchner Stadtrats ist der Widerstand der Palästinenser*innen gegen Israels Missachtung, gar Negierung internationalen Rechts gleichzusetzen mit Antisemitismus. Dabei bedient sich die Stadt München einer Definition von Antisemitismus, die nicht nur von ihrem Autor Kenneth S. Stern, sondern auch international in Kritik geraten ist, wird sie doch dazu benutzt, legitime Kritik an Israel und das Eintreten für die Rechte der Palästinenser*innen mit Antisemitismus gleichzusetzen.

Und warum dieser Aufwand? Was könnten die Interessen des Münchner Stadtrats sein, wenn er in Kauf nimmt, sogar grundgesetzlich verankerte Rechte außer Acht zu lassen und zu brechen?

Ihr propagierter Kampf gegen Antisemitismus alleine kann es nicht sein – da würden sie bei dem Verantwortlichen der verhinderten Veranstaltung keinen Grund finden.

Es liegt vielmehr die Vermutung nahe, dass der Münchner Stadtrat Israels Politik von Völker- und Menschenrechtsverletzungen gegen die Palästinenser*innen mitzutragen bereit ist und mit der Neu-Definition von Antisemitismus diejenigen kriminalisiert und verfolgt, die das Anliegen der palästinensischen Zivilgesellschaft unterstützen.

Münchens Stadtrat ist damit mitverantwortlich für Israels Verstöße gegen Internationales Recht und die allgemeinen Menschenrechte.

Besorgniserregend sind die Äußerungen von grundrechtsverpflichteten Amtsträger*innen zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter etwa spricht von einem Rückschlag für die demokratische Stadtgesellschaft.

Felix Klein, Antisemitismus-Beauftragter der Bundesregierung bedauerte das Urteil und bezeichnete es als Einzelfallentscheidung hinsichtlich der spezifischen Konstellation in München. “Das bedeutet, Kommunen können weiterhin bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen, BDS-Veranstaltungen in öffentlichen Räumlichkeiten verweigern.”

Da ignoriert Felix Klein, dass ein solches Gesetz verfassungswidrig wäre, weil „nicht meinungsneutral“, was er neben dem Urteil auch dem von ihm in Auftrag gegebenen Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags hätte entnehmen können. Felix Klein sollte sich dringen daran erinnern, dass er als Amtsträger dem Recht verpflichtet ist, unabhängig von der formellen Bindungswirkung eines Gerichtsurteils. Laut Lothar Zechlin bewegt sich Kleins Stellungnahme in der Nähe einer „Aufforderung zum Rechtsbruch“.

Wir begrüßen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.02.2022 und schauen erwartungsvoll auf die noch ausstehende Entscheidung der Klage gegen den anti-BDS-Beschluss des Deutschen Bundestags vom 17. Mai 2019.

Redaktion BDS-Kampagne.de