Wieso BDS nicht verlieren kann: Eine moralische Schwelle um den Rassismus in Israel zu bekämpfen
Dank an BDS Schweiz für die Übersetzung des Artikels von Ramzy Baroud.
Die Versuche, den Boykott gegen Israel zu ächten, scheint auf taube Ohren zu stossen. Aufrufe von westlichen Regierungen, allen voran der USA, Grossbritannien und Kanada, den Boykott von Israel zu kriminalisieren, haben den Schwung von BDS kaum abgebremst. Im Gegenteil hat die Bewegung sogar an Beschleunigung gewonnen.
Es ist, als wiederhole sich die Geschichte. Westliche Regierungen nahmen sich bereits früher der Bewegung gegen die Apartheid in Südafrika an. Sie bekämpften sie auf jede mögliche Art und Weise und brandmarkten ihre Anführer_innen. Nelson Mandela und viele seiner Genoss_innen wurden als Terroristen bezeichnet.
Nach seinem Tod im Jahr 2013 haben hohe US-amerikanische Politiker_innen die Chance ergriffen und die herausragenden Eigenschaften des verstorbenen afrikanischen Anführers in etlichen Pressekonferenzen aufgezählt und von seinem Engagement für Gerechtigkeit und Menschenrechte gesprochen. Dies, obwohl Mandelas Name erst 2008 von der US-amerikanischen Terrorismus-Beobachtungsliste gestrichen worden war.
Die Regierung unter Reagan nannte den African National Congress (ANC) – den Hauptträger des Widerstands gegen die Apartheid – eine Terrorgruppe. Wie die Regierung 1986 fand, war die Strategie des ANC gegen das Apartheidsregime „berechneter Terror“.
Viele Südafrikaner_innen sagen auch heute noch, dass der Kampf um Gleichberechtigung längst nicht vorbei ist und dass der Widerstand gegen die institutionalisierte Apartheid von anderen gerade so wichtigen Fragen abgelöst wurde. Korruption, eine neoliberale Wirtschaft und ungleiche Verteilung von Reichtum sind nur einige der Herausforderungen.
Aber abgesehen von wenigen, die immer noch den ekelhaften Traum von weisser Überlegenheit träumen, schaut die Mehrheit der Menschen mit Abscheu zurück auf die Zeit der Apartheid in Südafrika.
Die Erfahrung aus Südafrika, die den meisten Leuten immer noch frisch in Erinnerung ist, dient nun als Bezugsrahmen für den Widerstand gegen die israelische Apartheid in Israel/Palästina, wo die Jüd_innen als privilegierter Teil der Bevölkerung bestimmt wurden und palästinensische Muslim_innen und Christ_innen schlecht behandelt und unterdrückt werden.
Obwohl Rassismus vielerorts leider immer noch Teil des Lebens ist und in vielen Teilen der Welt zu erfahren, beobachtet und vermeldet ist, wird institutionalisierter Rassismus durch gewollte staatliche Politik hingegen – wenigstens offen – nur noch in wenigen Ländern praktiziert. Burma ist eines davon. Keines dieser Länder hält jedoch so hartnäckig an seinen rassistischen Gesetze und Apartheidsregeln fest und steht zugleich so offen dazu wie Israel. Fast jede Massnahme, die durch den Knesset geht und die arabische Bevölkerung betrifft, wird von folgender Denkweise beeinflusst: Palästinenser_innen müssen untergeordnet bleiben und die jüdischen Israelis müssen um jeden Preis ihre Überlegenheit bewahren.
Dieser Wunschtraum Israels führt zu einem unglaublichen Mass an Gewalt, einer fühlbaren Ungleichheit, gewaltigen Mauern, Gräben, Strassen, die jüdischen Bürger_innen vorenthalten sind, einer militärischen Besatzung und sogar zu Gesetzen, die das blosse Infragestellen dieser Praktiken kriminalisieren.
Zugleich bemüht sich Israel zunehmend, seine Vorherrschaft und ethnische Segregation zu sichern, je mehr es beim Versuch versagt, den palästinensischen Widerstand zu unterdrücken und die weltweite Solidarität mit der unterdrückten Bevölkerung auszubremsen.
„Die ganze Welt ist gegen uns“, ist eine weitverbreitete Rechtfertigung in Israel selber gegenüber der internationalen Reaktion auf die Apartheidspolitik. Mit der Zeit wird dieses Diktum zur selbsterfüllenden Prophezeiung, die von alten Vorstellungen lebt, die längst überholt sind. Ungeachtet davon, wie viele Unternehmen sich aus Israel zurückziehen – wie letzthin die weltweit grösste Sicherheitsfirma G4S – und wie viele Universitäten und Kirchen sich entscheiden, Israel zu boykottieren, verschanzt sich die israelische Gesellschaft auch weiterhin hinter diesem einen Satz und dem widersinnigen Gefühl, selber in der Opferrolle zu stecken.
Viele Israelis glauben, dass ihr Land eine „Villa im Dschungel“ sei – eine Vorstellung, die immer wieder von hohen israelischen Politiker_innen gestärkt wird. Der rechte Premierminister Benjamin Nethanjahu treibt bewusst die lähmende Angst immer weiter in seine eigene Gesellschaft hinein. Unfähig die Verbrechen zu sehen, die er jahrelang gegen die Palästinenser_innen verübt hat, hält er die Idee der Reinheit Israels und der Boshaftigkeit aller anderen weiterhin aufrecht.
Im Februar sprach er davon, noch mehr Zäune zu errichten, um seine „Villa im Dschungel“ zu sichern und um „uns gegen die wilden Bestien zu verteidigen“, die in den Nachbarländern lauern. Dies sagte er nur ein paar Wochen vor Beginn der jährlichen Internationalen Woche gegen die Israelische Apartheid (IAW) in zahlreichen Städten rund um den Globus. Es scheint, als wollen die israelischen Anführer zur weltweiten Kampagne beitragen, die erfolgreich Israel als Apartheidsstaat anklagt, der boykottiert werden soll.
Natürlich ist Israel keine „Villa im Dschungel“. Seit seiner Gründung in den Ruinen des zerstörten und besetzten Palästinas hat der Staat enorme Gewalt angewendet, Kriege provoziert und ist mit aller Härte gegen jeden Widerstand seiner Opfer vorgegangen. Ähnlich wie die USA und Grossbritannien Mandela als „Terroristen“ bezeichneten, wird der palästinensische Widerstand mitsamt seinen Anführer_innen gebrandmarkt, gemieden und inhaftiert. Israels sogenannten gezielten Tötungen, die Ermordung hunderter Palästinenser_innen in den letzten Jahren, wurden von den USA und anderen Verbündeten Israels als Siege in ihrem „Krieg gegen den Terror“ mit Applaus bedacht.
Ermutigt durch das Wissen, die USA und andere westliche Staaten an ihrer Seite zu haben, zeigen viele Israelis keine Hemmungen, ihren Rassismus offen zu zeigen und nach mehr Gewalt gegen die Palästinenser_innen zu rufen. Nach einer neuen Umfrage des Pew Research Center vom 8. März will fast die Hälfte der jüdischen Bewohner_innen Israels die Palästinenser_innen ganz aus ihrer historischen Heimat vertreiben.
Die Umfrage fand zwischen Oktober 2014 und Mai 2015 statt – Monate vor dem Ausbruch der neuen Intifada im Oktober 2015 – und ist die erste Untersuchung, an der über 5’600 erwachsene Israelis teilnahmen und in der eine Vielzahl von Themen, inklusive Religion und Politik, aufgegriffen wurde. Insgesamt 48% aller jüdischen Israelis wollen die Araber_innen verbannen. Unter den sich als „religiös“ verstehenden Teilnehmer_innen ist die Zahl mit 71% nochmals bedeutend höher.
Welche Optionen bleiben nun den Palästinenser_innen, die seit 68 Jahren ungerecht behandelt und in ihrer historischen Heimat Opfer einer ethnischen Säuberung werden, wenn sie als „Bestien“ betrachtet und behandelt und nach Belieben getötet werden? Was bleibt ihnen, wenn sie unter einem gewaltigen System der Apartheid und ethnischer Diskriminierung leiden, das selbst nach all den Jahren fortbesteht?
BDS ist bis jetzt die erfolgreichste Strategie, um den Widerstand und die Standhaftigkeit der Palästinenser_innen zu unterstützen und gleichzeitig Israel für die immer schlimmer werdende Politik der Apartheid zur Rechenschaft zu ziehen. BDS ist eine völlig gewaltfreie Kampagne, die von der Zivilgesellschaft rund um die Welt getragen wird, und zielt nicht darauf ab, gewöhnliche Israelis zu bestrafen, sondern will auf die Leiden der Palästinenser_innen aufmerksam machen und eine moralische Schwelle festlegen, die es zu erreichen gilt, sollte jemals ein gerechter Frieden zustande kommen.
Diese Schwelle wurde bereits durch die Beziehung zwischen den Palästinenser_innen und Südafrikaner_innen vorgezeichnet als Mandela selber sagte: „Wir wissen nur zu gut, dass unsere Freiheit unvollständig ohne die Freiheit der Palästinenser ist.“
Er versuchte damit nicht, höflich oder diplomatisch zu sein. Er meinte jedes Wort. Und schliesslich stellen heute viele Menschen auf der ganzen Welt diese Verbindung her und stimmen mit ihm völlig überein.
Ramzy Baroud: Why BDS Cannot Lose: A Moral Threshold to Combat Racism in Israel