BNC Erklärung

#Nakba75: Von Ben-Gurion zu Ben-Gvir: Fortlaufende Nakba, fortlaufender Widerstand?

12. Mai 2023 / Palestinian BDS National Committee (BNC)

On this earth there is what deserves living for:  April’s hesitancy, the smell of bread, …the beginning of love, grass on a stone, …and the conquerors’ dread of memories – Auf dieser Erde gibt es das, wofür es sich zu leben lohnt:  Die Zögerlichkeit des Aprils, der Duft des Brotes, … der Beginn der Liebe, das Gras auf einem Stein, … und die Angst der Eroberer vor den Erinnerungen. – Mahmoud Darwish

Auch 75 Jahre nach der Zerstörung der palästinensischen Heimat und der ethnischen Säuberung des größten Teils der einheimischen Bevölkerung Palästinas durch zionistische Milizen und später durch das israelische Militär und trotz der andauernden Nakba, insbesondere der fortlaufenden Massaker in Gaza, gibt es auf dieser Erde vieles, „wofür es sich zu leben lohnt”. Das Versprechen auf Freiheit, auf Gerechtigkeit, auf die Rückkehr der Flüchtlinge in ihr Land, auf Selbstbestimmung, auf die Wiedervereinigung unseres Volkes, auf den Geruch von frischem Fladenbrot aus dem Taboon am einem herrlichen Morgen in Palästina, der nicht durch das Elend der unablässigen Trauer um unsere Märtyrer*innen und das geraubte Land getrübt wird – all das ist es wert, dafür zu leben.

Viele Menschen weltweit sind Zeug*innen des Abschlachtens ganzer Familien im besetzten und belagerten Gazastreifen, einschließlich der vorsätzlichen Ermordung unserer Kinder im Schlaf – wieder einmal. Vor Wochen wurden sie Zeug*innen von Israels jüngstem Pogrom durch faschistische jüdisch-israelische Milizen gegen Palästinenser*innen in Huwara bei Nablus im besetzten palästinensischen Gebiet. Viele haben miterlebt, wie Bezalel Smotrich, hochrangiger Minister in der israelischen Regierung und selbsternannter „Faschist“, zum Staatsterrorismus aufstachelte, indem er sagte: „Ich denke, Huwara muss ausradiert werden. Ich denke, der Staat muss dies tun“. Viele haben vielleicht die grausame Gewalt gesehen, die wiederholt von israelischen Streitkräften und faschistischen fundamentalistischen Siedler*innen gegen muslimische und christliche palästinensische Gläubige und heilige Stätten entfesselt wurde. Aber viele mögen vergessen, dass Akte des “schrittweisen Völkermords” an Palästinenser*innen, einschließlich Pogromen, Massakern, Belagerungen und anderen Formen extremer kolonialer Gewalt, so israelisch sind wie die Flagge.

2008 drohte der Vorsitzende der Arbeitspartei, Matan Vilnai, den Palästinenser*innen mit einem “größeren Holocaust“, falls die Widerstandsgruppen ihre bewaffneten Vergeltungsmaßnahmen gegen Israels verbrecherische Belagerung und gewaltsame Angriffe auf den Gazastreifen nicht einstellen würden. Vor kurzem wurden durch einen Fehler der israelischen Zensor*innen versehentlich geheime Dokumente enthüllt, in denen Israels erster Premierminister David Ben-Gurion für die “Auslöschung” palästinensischer Dörfer während der Nakba 1948 eintrat und ein Minister seiner ersten Regierung zugab: “Nehmen wir an, dass es in [der ethnisch gesäuberten palästinensischen Stadt] Ramle zu Vergewaltigungen kam. Vergewaltigungen kann ich verzeihen, aber andere Taten werde ich nicht verzeihen”, wie z. B. das gewaltsame Entfernen von “Schmuck bei Frauen”. Ben-Gurion, dessen Leitprinzip ein Maximum an Land mit einem Minimum an palästinensischen Araber*innen war, hat die geplante Kampagne der ethnischen Säuberung eines Großteils der einheimischen Palästinenser*innen angeführt, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, von dem der derzeitige rechtsextreme israelische Minister für “nationale Sicherheit”, Itamar Ben-Gvir, der wegen Unterstützung des Terrorismus verurteilt wurde, nur träumen könnte, es zu begehen. Von Ben-Gurion bis Ben-Gvir – die Nakba geht weiter.

Dennoch ist Israels neue rechtsextreme Regierung die rassistischste, fundamentalistischste, korrupteste, autoritärste, sexistischste und homophobste, die es je gab – ohne jegliche Maskerade. Sie stellt eine Eskalation in Israels andauerndem Regime der kolonialen Unterdrückung der einheimischen Palästinenser*innen dar, das seit der Gründung Israels als Siedlerkolonie in Palästina besteht. Gleichzeitig stellt die Regierung mit ihren weitreichenden Plänen für rechtliche, soziale und kulturelle “Reformen”, die die jüdisch-israelische Gesellschaft betreffen, einen potenziell unumkehrbaren Bruch mit dem Status quo dar. Die Ratingagentur Moody’s hat bereits die Kreditwürdigkeit Israels herabgestuft, infolge monatelanger wirtschaftlicher Instabilität, beispielloser Umwälzungen im gepriesenen High-Tech-Sektor und zunehmender Kapitalflucht. Für Verfechter*innen der palästinensischen Rechte weltweit, insbesondere in der BDS-Bewegung, ergibt sich daraus eine noch dringendere Verantwortung und eine Gelegenheit, die es in 75 Jahren nicht gegeben hat. 

Gelegenheiten allein führen jedoch nicht zu einem Wandel;  sie schaffen lediglich den Nährboden dafür. Die antirassistische BDS-Bewegung, die von der größten palästinensischen Koalition aller Zeiten geführt wird, ist die wirksamste Form der Solidarität mit dem palästinensischen Befreiungskampf. Nach 75 Jahren Siedlerkolonialismus und Apartheid und angesichts einer israelischen Regierung, die alle Masken fallen gelassen hat, fordern wir internationale Anerkennung dafür, dass Israels Unterdrückungsregime tatsächlich Apartheid darstellt, sowie die Beendigung der staatlichen, wirtschaftlichen und institutionellen Komplizenschaft an diesem Regime als Erfüllung der gesetzlicher Pflichten und der moralischen Verpflichtung, keinen Schaden anzurichten. Dies ist eine Voraussetzung für Solidarität, nicht für Wohltätigkeit.

Wir rufen unsere Partner*innen auf der ganzen Welt auf, diese beispiellose Gelegenheit zu nutzen, um die Macht der Menschen zu stärken. Dies erfordert zwei parallele Wege:

1) Erweiterung unserer grundsatzorientierten, intersektionellen Koalitionen, um unsere kulturellen, akademischen, sportlichen und wirtschaftlichen Boykott- und Divestment-Kampagnen auszubauen und in der breiten Öffentlichkeit, einschließlich der UNO, die Verpflichtung durchzusetzen, gezielte, rechtmäßige Sanktionen zu verhängen, um die israelische Apartheid abzuschaffen, so wie die südafrikanische Apartheid abgeschafft wurde; und

2) Bildung neuer taktischer Allianzen mit den vielen neuen Kritiker*innen des rechtsextremen israelischen Regimes, mit denen wir vielleicht in vielen Dingen nicht übereinstimmen, außer in der Notwendigkeit bedeutsamen Druck auf die israelische Regierung auszuüben. Dazu gehört zumindest die Einschränkung des Handels mit militärischer Sicherheit und der Finanzierung des Militärs, das Verbot von Siedlungsgütern und die Desinvestition von Israel Bonds sowie von Unternehmen und Banken, die dieses Regime finanzieren.

Wie der palästinensische Dichter Mahmoud Darwish sagt, ist die Angst der kolonisierenden Eroberer*innen vor den Erinnerungen, den Erinnerungen der enteigneten, vertriebenen und kolonisierten indigenen Völker, auch eine Quelle der Hoffnung. Sie erinnert uns in der dunkelsten Stunde ihrer Unterdrückung daran, dass wir trotz ihrer Macht siegen können und werden. Sie sind nicht nur moralisch bankrott; sie fürchten unsere Widerstandsfähigkeit, unseren Widerstand, unsere sumud [Standhaftigkeit] und unsere fruchtbaren Erinnerungen an ihre siedlerkoloniale Eroberung und ihr Apartheidregime sowie an die Schönheit, Würde und Liebe, die dem vorausgehen und die zweifellos nach dessen Abschaffung kommen werden.

#Nakba75: Ben-Gurion to Ben-Gvir: Ongoing Nakba, Ongoing Resistance
Dank an BDS Schweiz