Jüdische Stimme: Gegen die Verletzung des Völkerrechts – ein Appell an Oberbürgermeister Feldmann
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Feldmann,
mit Befremden haben wir, die Mitglieder und Freund_innen der „Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost e.V.“ (JS), zur Kenntnis genommen, dass Sie, in Ihrer Eigenschaft als Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt am Main, Schirmherr einer für den 7. Juni anberaumten Festveranstaltung des „Jüdischen Nationalfond/Keren Kayemeth LeIsrael Deutschland e.V. “ (JNF–KKL) sein werden, deren Ankündigung extrem nationalistische und militaristische Politikpositionen in Israel unverblümt auch hierzulande zu verbreiten sucht.
Die Veranstalter beziehen das Motto des Konzerts auf den Vers „Jerushalajim Du Aufgebaute, wie eine ganz verbundene Stadt“ (Psalmen 122.3) aus der Zeit des Königs Dawid, um – eine kaum zu überbietende Demagogie – dem international geltenden Völkerrecht ein vermeintlich historisch begründetes, der jüdischen Bevölkerung von Jerusalem seit biblischen Zeiten vorbehaltenes Recht auf „Jerusalem als Hauptstadt Israels“ entgegenzusetzen. Wir lesen:
„Während des Unabhängigkeitskrieges 1948 konnte Jerusalem nicht gehalten werden. Erst im Sechs-Tage-Krieg 1967 konnte die ganze Stadt eingenommen und wiedervereinigt werden /…/
Freuen Sie sich auf den Chor der Großen Synagoge Jerusalem, der eigens nach Frankfurt kommt, um uns musikalisch durch die 3.000 Jahre alte Geschichte der Hauptstadt Israels zu führen.“
Dass der 1901 von der zionistischen Weltbewegung im damaligen Palästina als KKL gegründete und später zu JNF/KKL umbenannte Fonds auf diese Weise seine unheilvolle Mission der „Judaisierung des Bodens“ – des Landraubs also – sowie der Ausgrenzung und Vertreibung nichtjüdischer Einheimischer in Israel religiös verbrämt, wundert uns nicht. Die JS protestiert seit Jahren regelmäßig öffentlich gegen die vom JNF – oftmals mit Gewalt und äußerster Menschenverachtung – durchgesetzte Enteignung von arabischem Grund- und Bodenbesitz sowohl auf israelischen als auch, unter dem Namen „Himanuta“, auf den besetzten Territorien des Westjordanlands und Ostjerusalems. Die Machenschaften der Himanuta speziell hier werden von internationalen Institutionen und Vereinigungen als anhaltende und systematische Vertreibung der nichtjüdischen Einwohner verurteilt, als schleichende ethnische Säuberung.
Nun sind der JNF/KKL und seine Agenturen ausschließlich ihren Gründungsvätern und Förderern verpflichtet. Demgegenüber sind Sie, als Oberbürgermeister einer bundesdeutschen Großstadt gehalten, allen Frankfurter_innen – ungeachtet ihrer religiösen, nationalen oder ethnischen Zugehörigkeit – uneingeschränkte Achtung und umfassenden Schutz ihrer Menschenwürde zu garantieren. Das bedeutet, dass Sie jeder Art von Klientelpolitik entsagen müssen. Dieses, im Prinzip für jede öffentliche Funktion vorrangige Gebot, das für einen Bürger_innen-Nähe beanspruchenden Oberbürgermeister sicher höchste Bedeutung hat, wird durch das Einverständnis zur Schirmherrschaft für die genannte Veranstaltung aus den folgenden Gründen empfindlich verletzt:
Es ist Ihnen sicherlich bekannt, dass Jerusalem 1948 keineswegs mehrheitlich jüdisch, sondern Heimstätte für Menschen unterschiedlicher Religionen, Ethnien sowie Nationalitäten war. Daher werden Sie sicher auch wissen, dass die vom JNF/KKL als „Unabhängigkeitskrieg“ und „Befreiung“ gefeierten Waffengänge der israelischen Armee Hunderttausende palästinensische Einheimische, nicht zuletzt auch aus Jerusalem, in die Flucht trieben sowie unzählige palästinensische Ortschaften und Lebenszusammenhänge gewaltsam zerstörten. Palästinenser sprechen, vor allem, wenn sie bis heute noch zur Staatenlosigkeit und einem Leben in Flüchtlingslagern verdammt sind, von einer Katastrophe, die 1948 über sie gekommen ist, von der Naqba.
Aber selbst wenn Sie diese, übrigens von israelischen Historikern seit Jahrzehnten aufgearbeiteten und gut dokumentierten Tatsachen nicht kennen, müsste Ihnen als Oberbürgermeister und damit Träger eines öffentlichen Amts bewusst sein, dass Ostjerusalem ebenso wie das Westjordanland, der Gazastreifen und die Golanhöhen seit nunmehr einem halben Jahrhundert von Israel völkerrechtswidrig militärisch besetzt sind und lebenswichtiger Ressourcen beraubt werden. Gerade aus Ostjerusalem erreichen uns über die hiesigen, aber auch über etablierte israelische und internationale Massenmedien, nahezu wöchentlich Meldungen von Zerstörungen palästinensischer Wohnhäuser bis hin zu Räumungen und Umsiedlungen von mehrheitlich palästinensisch bewohnten Straßenzügen und Bezirken. Es ist bekannt, dass solcherart Ausgrenzungen, die über Himanuta vom JNF forciert und mit Hilfe der israelischen Armee gewaltsam durchgesetzt werden, der demographischen Säuberung im Interesse der Herstellung einer jüdischen Mehrheit in der Stadt dienen. Als politischer Funktionsträger darf es Ihrer Aufmerksamkeit nicht entgangen sein, dass die Vereinten Nationen, die Europäische Union und nicht zuletzt die deutsche Bundesregierung die sukzessive Besiedlung der besetzten Gebiete und ebenso die Ausbeutung von Wasser- und anderer Ressourcen, die den nichtjüdischen Einheimischen vorenthalten werden, als völkerrechtlich illegal verurteilen und insbesondere Jerusalem zu keinem Zeitpunkt als Hauptstadt Israels anerkannt haben.
Wie wollen Sie aufrechten Demokraten in Ihrer Stadt, die sich für Frieden, sowie für Bürger- und Menschenrechte engagieren, Ihre Entscheidung zur Schirmherrschaft für eine Veranstaltung erklären, auf der die verhängnisvolle demographische „Judaisierung“ der Altstadt von Jerusalem mit allen unmenschlichen Erscheinungen, die Exzesse nationalistischer Ausgrenzungspolitik für gewöhnlich aufweisen, als „Jerusalems Befreiung“ geradenach besungen wird?
Wie wollen Sie Bürger_innen palästinensischer Herkunft, ganz gleich ob muslimischen oder christlichen Glaubens, Ihre Entscheidung zur Übernahme der Schirmherrschaft über eine Veranstaltung erklären, in der deren 1948 begonnene, 1967 ausgeweitete und bis heute systematisch fortgeführte Vertreibung und Entrechtung selbstvergessen gefeiert wird? Und wie wollen Sie den vielen besatzungskritischen Stimmen innerhalb der jüdischen Gemeinschaft, und insbesondere unter der wachsenden Zahl israelischer Einwanderer_innen, Ihre Unterstützung für eine militaristische, an einer Friedenslösung kaum interessierte Politik erklären?
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Feldmann, Ihr Engagement für Bürger- und Menschenrechte, für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie wurde bis jetzt allenthalben gelobt. Ihre Wahlerfolge zeugen von einer guten Stadtpolitik im Interesse aller Frankfurter_innen. Gerade vor diesem Hintergrund steht Ihre Entscheidung zur Schirmherrschaft für eine Festveranstaltung, auf der Verstöße gegen das Völkerrecht, Expansionskriege sowie schleichende ethnische Säuberungen gefeiert werden, einem gedeihlichen interkulturellen und interreligiösen Zusammenleben in Ihrer Stadt entgegen.
Die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost e. V. appelliert an Sie deshalb, Ihre Entscheidung zu revidieren.
Treten Sie von der Schirmherrschaft für das Chorkonzert „1967–2017: 50 Jahre wiedervereinigtes Jerusalem“ zurück.