PACBI Erklärungen

Kulturschaffende verstoßen gegen den kulturellen Boykott Israels

30. April 2011

Kulturschaffende verstoßen gegen den kulturellen Boykott Israels:
Moralische Inkonsequenz und logische Inkohärenz

Obgleich der kulturelle Boykott Israels weltweit an Fahrt gewinnt, haben einige KünstlerInnen, SchriftstellerInnen und andere Kulturschaffende immer größere Schwierigkeiten sich konsequent und kohärent mit den Argumenten derer auseinanderzusetzen, die Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen (BDS)
befürworten.

Kulturschaffende, die auf Musikaufführungen, Kunstausstellungen oder Entgegennahme von Auszeichnungen in Israel bestehen, flüchten sich in eines der drei Argumente, um ihren Verstoß gegen die von der palästinensischen Zivilgesellschaft festgelegten Richtlinien für den kulturellen Boykott zu rechtfertigen.

Einige argumentieren, um Stellung zu beziehen fehle es ihnen an differenziertem Wissen über den palästinensisch-israelischen “Konflikt”, deshalb möchten sie zunächst “mit eigenen Augen sehen”.

Andere meinen, wenn sie damit beginnen würden ein Land wie Israel zu boykottieren, weil es gegen Völkerrecht und Menschenrechte verstößt, wo würden sie dann aufhören, denn das täten doch viele Länder und vielleicht sogar noch schlimmer.

Eine dritte Gruppe, meist politisch ziemlich bewusste Leute, die auch bis zu einem gewissen Grad Sympathien für die palästinensische Sache haben, argumentiert, BDS sei nicht im besten Interesse der PalästinenserInnen und Kulturschaffende sollten sich mit Israelis auseinandersetzen, denn “Frieden” werde durch Dialog und Kommunikation geschaffen.

Wir halten es für nötig auf diese Argumente einzugehen

1. Wir wissen nicht genug, um politisch Stellung zu beziehen – Wir müssen mit eigenen Augen sehen

Diese Gruppe würden wir einfach darum bitten das Vernünftige zu tun und sich von Israel fernzuhalten bis sie mehr über die “Situation” wissen.

Kulturschaffende werden schließlich nicht von ein oder zwei ihrer Mitbürgerinnen gebeten Israel zu boykottieren, denn das könnte man als uninformiert oder dem gemeinsamen Interesse nicht dienlich abtun.

Hier geht es darum, dass die Mehrheit der palästinensischen Zivilgesellschaft, über 170 Organisationen aus dem ganzen politischen und gesellschaftlichen Spektrum und vor allem die große Mehrheit der palästinensischen Künstlerinnen und anderer Kulturschaffender, alle Kulturschaffende dazu aufrufen, den kulturellen Boykott Israels und seiner mitverantwortlichen Institutionen zu respektieren.

Wenn dieser fast einhellige Appell der PalästinenserInnen sie nicht genügend überzeugen kann, dann könnten sie wenigstens von Auftritten, Kunstausstellungen oder der Entgegennahme von Auszeichnungen in Israel absehen bis sie die besetzten palästinensischen Gebiete besucht und mit palästinensischen Flüchtlingen im Exil gesprochen haben.

Sich hinter einer angeblichen Ignoranz zu verstecken um Komplizenschaft bei der Verschleierung israelischen kriminellen Verhaltens zu entschuldigen, ist vom moralischen und logischen Standpunkt inakzeptabel und ist Kulturschaffenden, die vorgeben Menschenrechte zu verteidigen und sich um Frieden, Gerechtigkeit und gleiches Recht für alle zu sorgen, nicht angemessen.

Gab es denn irgendwelche UnterstützerInnen des kulturellen Boykotts des südafrikanischen Apartheidstaates, die darauf bestanden zuerst mit eigenen Augen zu sehen, bevor sie eine eigene Position bezogen?

Müssen wir ein Land erst besuchen, bevor wir seinen Staat, der Menschenrechte missachtet, kritisieren oder wirksame Aktionen gegen ihn unternehmen?

Und schließlich, wie kann ein Beitrag zur Unterhaltung Israels trotz seiner Besatzungspolitik und Apartheid als unpolitisch bezeichnet werden, und die Verweigerung als politisch?1

2. Warum nicht auch andere Menschrechtsverletzer boykottieren?

Folgende Punkte sollten in diesem Zusammenhang vor allem bedacht werden:

  • (a) Ging der Aufruf an internationale Kulturschaffende sich dem Boykott der Unterdrücker anzuschließen, um ein Ende der Unterdrückung herbeizuführen, von den Unterdrückten selbst aus und
  • (b) ob und wie weit das Land eines internationalen Kulturschaffenden selbst dazu beiträgt, die systematische Unterdrückung eines Staates aufrechtzuerhalten, gegen den sich der Boykott richtet.

Was den Punkt (a) betrifft, so verweisen wir auf den oben genannten Konsens der palästinensischen Gesellschaft. KünstlerInnen, denen Menschenrechte und Völkerrecht am Herzen liegen, sollten zumindest den Stimmen der Unterdrückten in Palästina, die BDS fordern, Gehör schenken.

Sie sollten lokale BDS Initiativen beachten, die sich zu einer weltweiten Protestbewegung und zu einer internationalen Streikpostenkette entwickelt haben.
Gegen die verschiedenen Formen der israelischen Unterdrückung benötigt der Widerstand eine umfassende, beharrliche und ethische Strategie der Gewaltlosigkeit.

Wenn KünstlerInnen, SchriftstellerInnen und andere Kulturschaffende die Aufrufe der palästinensischen BDS Bewegung ablehnen, dann wenden sie sich genau gegen diese Strategie.

Nach Meinung der palästinensischen Kampagne für den akademischen und kulturellen Boykott Israels (PACBI) muss jedes Unrecht und jeder Rassismus, einschließlich des Antisemitismus verurteilt und resolut bekämpft werden, aber jeder Kampf und jede Situation entwickelt eigene Formen des Widerstandes.

Es wäre deshalb scheinheilig, wenn man einem Volk, das BDS fordert, antwortet, es solle doch warten bis die Welt alle Staaten, die Menschrechte verletzen, boykottiert, bevor man Israel boykottieren kann.

Wenn eine Bewegung chinesischer Aktivisten heute nach einem Boykott Chinas rufen würde, würden wir dann sagen, dass wir diesem Ruf nicht folgen sollten, weil wir Israel, Iran, Saudi Arabien oder die USA nicht boykottieren?

Hätten wir die Forderung nach einem Boykott des südafrikanischen Apartheidregimes im letzten Jahrhundert ignorieren sollen, weil wir nicht gleichzeitig andere Regime boykottiert haben, die zum Teil noch schlimmere Verbrechen begingen?

Diese Argumente dienen der Ablenkung vom eigentlichen Thema, nämlich von der immer stärker werdenden BDS Bewegung, die von einer beispiellosen Mehrheit der PalästinenserInnen getragen wird, die die Welt dazu aufruft, Israel für die Verbrechen der Apartheid, wie sie im Völkerrecht definiert sind 2 und für seine massiven Verstöße gegen das Völkerrecht und die Missachtung der Menschenrechte zur Verantwortung zu ziehen.

Was den Punkt (b) betrifft, so ist Israel heute der einzige Staat mit einem dreigliedrigen System der Unterdrückung – Besatzung, Kolonisierung und Apartheid.

Gleichzeitig behandeln westlichen Staaten Israel wie ein Mitglied in ihrem “demokratischen Club” und gewähren ihm grenzenlose wirtschaftliche, diplomatische, akademische und kulturelle Unterstützung.

Diese tief verwurzelte und ungebrochene Komplizenschaft des Westens unterstützt die Aufrechterhaltung der israelischen kolonialen Unterdrückung.

Deshalb sind Bürgerinnen und Bürger der westlichen Länder moralisch dazu verpflichtet ihren Beitrag zu leisten, die Komplizenschaft ihrer Regierungen bei israelischen Verbrechen zu beenden.

Das Mindeste, das wir von gewissenhaften KünstlerInnen und Kulturschaffenden erwarten sollten ist, dass sie sich für ein Ende der Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen einsetzen.

3. Wir glauben nicht, dass es im besten Interesse der PalästinenserInnen ist

Dies ist wahrscheinlich die problematischste Position, denn sie versteckt sich hinter der Sorge um palästinensische Rechte und weil diese Kulturschaffenden meinen, sie wüssten, was für die PalästinenserInnen am besten sei.

Wenn AusländerInnen meinen, sie wüssten am besten wie die PalästinenserInnen kämpfen und wie sich verhalten sollten, so ist das Kulturkolonialismus par excellence.

Klingt sie uns nicht in den Ohren, diese “zivilisatorischen Mission” des weißen Mannes, der die Eingeborenen erziehen muss?

In einigen Fällen versuchen KünstlerInnen und SchriftstellerInnen vielleicht auch ihr persönliches Interesse und /oder ihre Angst vor der erwarteten Empörung Israels oder seiner einflussreichen Lobby unter dem Mantel der Weisheit und der Sorge um die “wirklichen” Interessen der Unterdrückten zu verstecken. Wie Desmond Tutu es formuliert:

Große moralische Konflikte begleiten den Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit. Wie können wir uns für Moral einsetzen– bevor sie politisch triumphiert – wenn wir riskieren von unseren politischen Verbündeten, ja sogar von unseren engsten Partnern und Freunden dafür geächtet zu werden?

Sind wir bereit uns für Gerechtigkeit einzusetzen, wenn unsere moralische Entscheidung für eine unterdrückte Gruppe Telefonanrufe der Mächtigen nach sich zieht oder wenn uns die Finanzierung von Forschungsarbeiten möglicherweise entzogen wird? 3

All jene, die BDS als legitime Form des palästinensischen zivilen Widerstandes ablehnen, geben tatsächlich das ganze Bündel palästinensischer, völkerrechtlich verbriefter Rechte preis und beschränken diese Rechte oft nur auf PalästinenserInnen, die unter der Besatzung im Westjordanland und Gaza leben, auf nur ein Drittel des palästinensischen Volkes.

PalästinenserInnen kämpfen jedoch nicht nur für ein Ende der 44jährigen illegalen Besatzung, sondern auch für die Gleichberechtigung der palästinensischen Bürger und Bürgerinnen Israels und für das palästinensische Rückkehrrecht gemäß der UN Resolution 194.

Wenn Unterdrückte zusammenkommen, um eine gemeinsame ethische und gewaltlose Strategie in ihrem Kampf für diese Rechte zu entwickeln, wenn sie sich über viele Jahre darum bemühten, eine Bewegung zu schaffen, die auf Konsens gründet und wenn sie internationale Kulturschaffende dazu aufrufen sich solidarisch an ihre Seite zu stellen und Druck auf die israelische Apartheidregierung auszuüben, wie kann dann eine Geringschätzung der BDS Bewegung dem palästinensischen Interesse dienen? Und wer entscheidet darüber?

In einigen Fällen beziehen sich ansonsten als liberal geltende Kulturschaffende auf Einwände ihrer israelischen Kollegen, um ihre Zurückweisung der Stimmen der Unterdrückten zu rechtfertigen.

Sich dem hegemonialen Diskurs des Unterdrückers zu beugen, bedeutet die Rechte des palästinensischen Volkes auf die selektive Agenda des einen oder anderen israelischen Schriftstellers, Aktivisten oder Gruppe einzuschränken.

Dies würde außerdem die palästinensische Stimme aus unserem eigenen Kampf für Selbstbestimmung verdrängen. Man stelle sich nur vor, die Leute hätten sich im Anti-Apartheidkampf nach den weißen Südafrikanern gerichtet und die Stimmen der schwarzen Bevölkerung abgewiesen!

In ihrem bisher vergeblichen Versuch dem wirksamen Druck auf Israel zu entrinnen und das beeindruckende Anwachsen der BDS Bewegung abzumildern oder zu behindern, haben sich einige “linke” Zionisten für eine trügerische “Friedensindustrie” eingesetzt, für einen “Dialog” zwischen Ungleichen, in dem Palästinenser keinerlei Macht haben das Ergebnis zu beeinflussen und für gemeinsame Projekte, die die Unterdrückung lediglich normalisieren anstelle dabei zu helfen sie zu beenden.

Wenn sich PalästinenserInnen diesem prinzipienlosen Engagement verweigern und im Gegenteil darauf bestehen zu wirksamer internationaler Solidarität in der Form der BDS aufzurufen, dann können internationale Kulturschaffende, wenn sie die israelischen Taktik vertreten, der Sache der Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichberechtigung nur schaden – Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichberechtigung sind die Hauptlosungen der BDS Bewegung.

Quelle:PACBI

1 As Archbishop Desmond Tutu quips, investing in apartheid South Africa was not seen as a political act; divesting was. http://www.timeslive.co.za/world/article675369.ece/Israeli-ties—a-chance-to-do-the-right-thing

2 http://classic-web.archive.org/web/20061001200717/http:/www.unhchr.ch/html/menu3/b/11.htm

3 http://www.timeslive.co.za/world/article675369.ece/Israeli-ties—a-chance-to-do-the-right-thing

www.bds-kampagne.de / Übersetzung a.d.Englischen Doris Pumphrey