ArtikelEuropäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)

Freiheit im politischen Meinungskampf – Der EGMR urteilt zu BDS

Kai Ambos, 16. Juni 2020 – Verfassungsblog

Der EGMR hat in einem hierzulande1) bisher wenig beachteten Urteil das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit im politischen Diskurs bestätigt und gestärkt (Baldassi et autres c. France, Nr. 15271/16, 11.6.2020). Es ging um die strafrechtliche Verfolgung und Verurteilung von französischen Aktivisten der sogenannten BDS (Boycott-Divestment-Sanction)-Bewegung, die sich bekanntlich mittels einer – keineswegs einheitlichen – Boykott- und Sanktionspolitik gegen die Politik der israelischen Regierung in den besetzten Gebieten wendet2) und auch hierzulande Gegenstand heftiger Polemiken ist3), die sogar zu einem parteiübergreifenden Anti-BDS-Beschluss des Bundestags geführt haben4)

Im vorliegenden Verfahren hatten die AktivistInnen in den Jahren 2009 und 2010 in zwei französischen Supermärkten im Elsass zum Boykott israelischer Waren aufgerufen, indem sie diese Waren als solche den Kunden des Supermarkts kenntlich machten und dazu Flugblätter verteilten. Daraufhin wurde gegen sie ein Strafverfahren aufgrund Art. 24 Abs. 8 des französischen Gesetzes vom 29.7.1881 „sur la liberté de la presse“ eingeleitet. Die genannte Vorschrift sieht eine Freiheitsstrafe von einem Jahr oder eine Geldstrafe von 45.000 € oder beides für Personen vor, die an Aktivitäten teilnehmen, mit denen zur Diskriminierung, zum Hass oder zur Gewalt zulasten einer Person oder einer Gruppe von Personen aus diskriminierenden Gründen aufgerufen wird5). Hatte das erstinstanzliche Tribunal correctionnel de Mulhouse die Betroffenen noch freigesprochen, u.a. weil mit den Aufrufen „Es lebe Palästina“, „Boykott der aus Israel importierten Produkte“ u.ä. die Vorschrift nicht erfüllt sei, sondern allenfalls eine – tatbestandlich nicht erfasste – ökonomische Diskriminierung (EGMR, para. 12), so hob das Berufungsgericht6) dieses Urteil auf und verurteilte die Angeklagten (para. 13-15); die Revision wurde vom Kassationsgerichtshof7) verworfen (para. 16 f.)…

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